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Deutsch-türkisches Verhältnis: Erdogan poltert, doch die Kanzlerin weiß zu kontern
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist ein kerniger Typ, der gern zu starken Worten greift. Er hat aber auch durchaus Sinn für praktische Poesie, wie er am Morgen seines Deutschlandbesuchs bewies. In einem Gespräch mit „Bild“ formulierte er seine Kritik an den obligatorischen Deutschkursen für türkische Bräute, die in die Bundesrepublik nachziehen wollen, in beinah romantischem Tonfall: „Aber ich bitte Sie, welche Sprache spricht die Liebe? Es kann doch nicht sein, dass die Liebe junger Menschen per Verordnung nur auf Deutsch funktionieren darf.“
„Lass es Liebe sein“, singt auch die Band „Rosenstolz“ im Autoradio, doch im nächsten Augenblick ist Erdogan schon wieder härter drauf: „Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte“, dekretiert er und beklagt gleich noch die mangelnde Unterstützung der Bundesregierung in Sachen EU-Beitritt der Türkei und die Integrationsversäumnisse der deutschen Gesellschaft.
Nicht gerade die ideale Grußbotschaft zum feierlichen Festakt „50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen“, der im sogenannten Welt-Saal des Auswärtigen Amts stattfindet. Doch der herbe Charme des türkischen Premiers beherbergt viele Register: Good Guy und Bad Guy – der Gute und der Böse. Mal adressiert er bei diesem Auftritt stolz seine türkischen „Brüder und Schwestern“, mal die lieben Deutschen.
Erdogan wettert gegen Assimilation – die aber keiner fordert
„Wir gehören zusammen“, ruft er schließlich in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und mehreren Hundert Gästen aus beiden Ländern gleich zweimal aus, und das in deutscher Sprache! Freundlicher Beifall ist ihm sicher, auch von jenen Gastarbeitern der ersten Generation, die auf den türkischen Simultandolmetscher angewiesen sind. Die deutsch-türkische „Schicksalsgemeinschaft“, eine „Partnerschaft zum gegenseitigen Nutzen“ – sie gebe es schon seit den Zeiten des Osmanischen Reiches, so der kurze historische Abriss, und längst sei Deutschland für seine Landsleute keine „fremde Heimat“ mehr.
Umso mehr dringt Erdogan auf einen EU-Beitritt seines Landes, lässt dabei aber die Schärfe seiner Interviewäußerungen beiseite. Gleichwohl beharrt er auf seinen notorischen Lieblingsthemen, darunter die Forderung nach doppelten Staatsbürgerschaften für Deutschtürken, aktive Hilfe beim Kampf gegen den Terror der kurdischen PKK und die Warnung vor „Assimilation“, die er mit Antisemitismus und „Islamophobie“ gleichsetzte.
Schon vor Jahresfrist hat er sie als „Verbrechen“ gebrandmarkt. Eine eigentümliche Marotte – fordert doch kein vernünftiger Mensch und schon gar kein Politiker hierzulande „Assimilation“. Im Gegenteil. Man wäre schon froh, wenn türkische Jugendliche in Kreuzberg und Neukölln, die oft genug den deutschen Pass besitzen, Mesut Özil nicht als Verräter beschimpfen würden, nur weil er für die deutsche Nationalmannschaft spielt.
Künftig können sie sich immerhin nicht auf „ihren“ Ministerpräsidenten berufen, denn der bekannte frank und frei: „Jedes Tor, das Mesut schießt, freut mich!“ Wie gut hatte es sich da doch getroffen, dass der Mittelfeld-Star von Real Madrid beim letzten EM-Qualifikationsspiel vor ein paar Wochen in Istanbul verletzt pausieren musste!
Deutsche und Türken – kompliziertes Joint Venture ohne Masterplan
Der Rest ist an diesem Tag „Demokratie und Menschenrechte, Frieden und Solidarität“ – das rhetorische Tischgebäck solcher Feierstunden mit Teleprompter, bei denen auch der Hinweis auf „Visionen“ und die globalen Zusammenhänge nicht fehlen darf. Vielleicht aber verrät die Geschäftsmäßigkeit dieser eiligen Feierstunde mit einer starken Prise preußischer Disziplin – Erdogans Delegation traf fast auf die Minute pünktlich ein – auch viel über das Wesen der vergangenen 50 Jahre deutsch-türkischer Beziehungen.
Nein, die große Liebe ist es nicht, sieht man von mannigfachen privaten Verbindungen ab – eher ein kompliziertes Joint Venture ohne Masterplan, ein Zusammenleben und -arbeiten, das lange Jahre eine einzige Großbaustelle war, über wie unter Tage: ein Neben- und Miteinander mit dem Gewöhnungseffekt des Alltags.
„Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, ?verletzt die Menschenrechte" Recep Tayyip Erdogan, türkischer Premier, ?in der „Bild"-Zeitung
„Die deutsche Sprache zu beherrschen? und zu erlernen ist zwingend für gelungene Integration" Angela Merkel (CDU),
„Die deutsche Sprache zu beherrschen? und zu erlernen ist zwingend für gelungene Integration" Angela Merkel (CDU),
"Die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen stehen offenbar nicht zum Besten. Die Bundesregierung schlägt einer wirtschaftlich und außenpolitisch immer selbstbewussteren Türkei die Tür vor der Nase zu, wenn es um den EU-Beitritt geht, und der türkische Ministerpräsident reagiert darauf entsprechend pikiert. Man sollte aber auch nicht aus jedem Interview Erdogans einen Popanz aufblasen. So manche Schlagzeile ist durchaus übertrieben." Grünen-Chef Cem Özdemir, Sohn türkischer Gastarbeiter
"Wenn Politiker unbedarft mit vermeintlich wissenschaftlichen Erkenntnissen hantieren, kommt nichts Gutes dabei raus. Der Streit um die Mehrsprachigkeit läuft in die falsche Richtung, weil er ignoriert, dass Kinder mit entsprechender Förderung leicht zwei Sprachen gleichzeitig lernen können. Es ist völlig klar, dass die wichtigste Sprache für in Deutschland lebende Kinder Deutsch ist, aber sie können daneben eben auch Türkisch, Spanisch oder Englisch lernen. Genau das ist in vielen binationalen Familien längst tagtäglich und völlig selbstverständlich der Fall." Grünen-Chef Cem Özdemir, Sohn türkischer Gastarbeiter
"Der Bundesinnenminister sollte sich von seinen Mitarbeitern einmal die Einbürgerungsstatistik erklären lassen. Dann wird auch er erkennen, dass jede zweite Einbürgerung in Deutschland seit Jahren mit Beibehaltung der früheren Staatsbürgerschaft erfolgt und Mehrstaatigkeit entsprechend alles andere als die Ausnahme ist. Es kann nicht sein, dass wir ein Einbürgerungsrecht erster und zweiter Klasse haben, bei dem manche ihren früheren Pass behalten dürfen, andere aber nicht." Grünen-Chef Cem Özdemir, Sohn türkischer Gastarbeiter
Doch eine halbwegs zivile Normalität ist zuweilen mehr wert als großartige Perspektiven, denen sowieso niemand folgt. Auch Angela Merkel bewegt sich an diesem Tag mit ihrem nach außen spröden Charakter ganz auf dieser Linie und befindet protestantisch nüchtern, die Jubiläumsfeier sei ein „Ausdruck des Dankes“ für den „mutigen Schritt“ vieler Türken, die ab 1961 ihr Land verließen, um im fernen und kalten „Almanya“ zu arbeiten und Geld zu verdienen.
Sie lobt die Rolle der Gewerkschaften und nennt die Integration eine „Schlüsselaufgabe“ der Politik. Auch im Angesicht des bevorstehenden Super-Sondergipfels der EU in Cannes, wo sie wieder einmal, wie sie lächelnd formuliert, „den Euro beruhigen“ will, zeigt sie sportlichen Humor gegenüber Fußballfan Erdogan: „Über die Tore von Mesut Özil freuen wir uns mindestens so sehr wie Sie!“
Merkel – "Ich bin auch Ihre Bundeskanzlerin!"
In der ihr eigenen Art einer virtuell schwäbischen Hausfrau mit ostdeutschem Migrationshintergrund benennt sie zugleich Probleme, „die nicht verschwiegen werden sollten“, vor allem „Missstände bei Kriminalität und Bildung“. Genau an dieser Stelle aber herrscht auch jenseits offizieller Feierlichkeiten eben doch allzu oft eine Kultur des Verschweigens, Relativierens und Schönredens, Sarrazin hin oder her. Und so ist es gewiss kein Zufall, dass die streitbaren Autorinnen Necla Kelek und Seyran Ates nur im Publikum sitzen und nicht auf dem Podium.
Ohne die Tatsache zu erwähnen, dass über die Hälfte der türkischstämmigen Jugendlichen weder Schul- noch Berufsabschluss haben, plädiert die Kanzlerin für eine „gezielte Förderung von Migrantenkindern“, bei der allerdings auch „das Elternhaus“ mitmachen müsse: Integration als „Geben und Nehmen“, als „eine Gemeinschaftsleistung“ aller, die das Land „nach vorne“ bringen wollen.
Selbst das Grundgesetz, die Gleichberechtigung der Frauen und die Meinungsfreiheit vergisst Angela Merkel nicht, bevor sie den türkischstämmigen Bürgern im Saal und draußen im Lande zuruft: „Ich bin auch Ihre Bundeskanzlerin!“
Euphorie hält sich in überschaubaren Grenzen
Doch auch an dieser Stelle hält sich die Euphorie in überschaubaren Grenzen. Immer wieder ist spürbar, dass offene Konfliktpunkte wie doppelte Staatsbürgerschaft und obligatorische Deutschkurse, die im Multikulti-Milieu noch vor wenigen Jahren als „Zwangsgermanisierung“ abgelehnt wurden, offenbar als Teil einer Kultur der Diskriminierung wahrgenommen werden, egal, wie pragmatisch und sinnvoll ihre Begründung ist.
Bezeichnend für die schräge Vielfalt der deutsch-türkischen Befindlichkeiten sind die Worte von Filiz Yüreklik, die 1964 nach Deutschland kam und bis heute ihren türkischen Pass hat, den sie gerade für zehn Jahre verlängert hat: Sie vermisst nichts, und sie klagt niemanden an. Selbst Giovanni di Lorenzo, Moderator der zehnköpfigen Schlussrunde, vermag nicht, ihr genauere Auskünfte in Sachen deutsch-türkische „Identität“ zu entlocken.
"Wie verändert Zuwanderung unsere Gesellschaft?"
Das gelingt ihm auch bei den durchweg perfekt integrierten, deutsch sprechenden und eloquenten „Migrationskindern“ der zweiten Generation nicht – schon deshalb nicht, weil die penible Veranstaltungsregie für das Gespräch mit dem enzyklopädisch ausladenden Titel „Wie verändert Zuwanderung unsere Gesellschaft?“ gerade einmal 30 Minuten vorgesehen hat.
Einzig Nejdet Niflioglu, der Leiter des Netzwerks „Daimler Türk Treff“ in Stuttgart, findet eine griffige Formel, die man freilich im schwäbischen Tonfall seines Originaltons gehört haben muss: „Heimat ist da, wo man sich einbringt.“
Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: wolin-w (02.11.2011) W
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