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"Maybrit Illner": Wenn Deutsche billiger als Polen arbeiten
Man muss es sich noch einmal vor Augen halten: Einzig Deutschland und Österreich haben sich gegen die EU-weite Arbeitsfreizügigkeit einen Aufschub von sieben Jahren gegenüber den osteuropäischen Neumitgliedern erbeten. Der ist nun am 1. Mai abgelaufen. Billiglöhner-Horden haben Resteuropa in diesen Jahren nicht überrannt.
Im Gegenteil. Andere große Industrienationen wie Frankreich und England haben längst einen flächendeckenden Mindestlohn um die neun Euro. Eine Attraktivität, von der das Niedriglohnland Deutschland weit entfernt ist.
Der Sendungstitel "Dann nehm' ich eben einen Polen... Fallen mit den Grenzen auch die Löhne?" wirkt schon deshalb seltsam gestrig. Wie ein Überbleibsel jener Überheblichkeit aus der TV-Bundesrepublik der frühen 90er-Jahre, als die Polen sich gerade aus ihrer Diktatur befreiten, ihre ersten Lektionen im Kapitalismus am Ende der Geschichte lernen mussten und es Mainstream war, sich über sie lustig zu machen, um sie dabei gleichzeitig zu einer Bedrohung hochzustilisieren.
Ursula von der Leyen (CDU), Bundesarbeitsministerin: "Wir erwarten keinen Ansturm. Wir brauchen dringend Auszubildende. Das sind junge Leute, die bringen das Land voran."
Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag: "Jemand, der Vollzeit arbeitet, soll in Würde leben können und nicht zum Aufstocken zum Sozialamt geschickt werden."
Franz Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG): "Angst haben Menschen vor Lohndrückerei, weil sie jetzt schon bei uns stattfindet."
Thomas Selter, Mittelständischer Unternehmer und Mitglied im Verband "Die Familienunternehmer – ASU": "Wir haben den verkrustetsten Arbeitsmarkt der Welt."
Michael Clauss, IG-Metall-Betriebsrat im Daimler-Werk Stuttgart-Unertürkheim: "Einen Mindestlohn, bei dem 800 Euro netto rauskommen? Wie soll man denn da eine Familie ernähren?"
Auch wenn das glücklicherweise zwanzig Jahre her ist – dass die neue Arbeitsfreiheit in Deutschland für die Polen "ein magisches Datum" sein müsse, das setzt Frau Illner einfach mal voraus. Im Einspieler wird folgerichtig dann auch ersteinmal die alte Angstspirale des Bundesbürgers angekurbelt. Es geht um "billige Arbeit aus dem Osten" und gierige deutsche Arbeitgeber, die sich über den vermeintlichen Zulauf aus "Osteuropa" freuen.
Man sei doch schon "Billiglohnland", erbost sich Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Ein Gewerkschafter mit Theaterstimme: "Lohndrückerei" und "Leiharbeit" seien auch ohne zusätzliche Polen längst in Deutschland etabliert. Die Deutschen hätten "Angst vor der Lohndrückerei, weil sie jetzt schon stattfinde." Flächendeckende Mindestlöhne seien deshalb absolut essentiell.
"Naturgemäßer Alarmismus" bei Gregor Gysi
Thomas Selter, mittelständischer Unternehmer und Mitglied im Verband "Die Familienunternehmer – ASU", will von "irgendwelchen Mindestlöhnen" aber nun wirklich nichts wissen. "Der 1. Mai ist vorbei", blafft er ob solcher Forderungen. Es gebe immer noch ein "verdammt gutes Einkommen in Deutschland". Überhaupt, wenn sich etwas ändern müsse, dann die gesetzliche Maßregelung des freien Marktes. Da rutsche man schnell "in die Planwirtschaft".
Bei Gregor Gysi ist da naturgemäß etwas mehr Alarmismus angesagt. Er sehe da in der deutschen Arbeitswelt derzeit "gar nichts Gutes". "Da bröselt viel", philosophiert der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Auch Gysi ist für Mindestlöhne, seine Herleitung ist jedoch interessant:
Der Pole, der für weniger Geld arbeitet als sein deutscher Kollege, schüre den Fremdenhass und "das führt zu Ausländerfeindlichkeit". Und der NPD möchte man ja gerade als Linke keine "Argumente bieten". Der Mindestlohn als wirksame Abwendung des Vierten Reichs.
Hier fühlt man sich wieder in die Debatten der frühen 90er-Jahre erinnert, als es unter Politikern auch Mode war zu sagen: Wenn wir dieses oder jenes machen oder nicht machen, dann kann es sein, dass der Faschismus wiederkommt, und dann wird es ganz schlimm.
Da wirkt die erste Wortmeldung von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen richtig realitätsverankert: "Wir erwarten keinen Ansturm. Wir brauchen dringend Auszubildende. Das sind junge Leute, die bringen das Land voran." Die Ministerin sorgt sich sogar, dass jemand das im Ausland jetzt sehen könnte, diesen Missmut, diese Angstmacherei.
Seit 1996 ist Polen durchgängig jenes Land, aus dem die meisten Zuwanderer nach Deutschland kommen. In den Nullerjahren betrug die Zahl der zugewanderten Polen meist zwischen 100.000 und 150.000. Der bisherige Rekord wurde 2006 erreicht, als 163.643 Polen ins Land kamen. Im Jahr 2009 registrierten die Behörden 122.797 polnische Zuwanderer. Der Anteil Polens an allen Zuwanderern betrug damit 30 Prozent.

Insgesamt ist die Zahl der Zuwanderer im mittelfristigen Trend deutlich rückläufig. 1992 kamen noch gut 1,5 Millionen Menschen nach Deutschland. Zwischen 2005 und 2009 waren es demgegenüber jeweils weniger als halb so viele. Gegen den Trend stark gewachsen ist in den vergangenen Jahren vor allem die Zahl der Zuwanderer aus Rumänien. Sie betrug zuletzt 56.427. Die Türkei rangierte mit 29.544 Personen in der Statistik der deutschen Behörden weit dahinter.
Die CDU-Ministerin vermittelt Zuversicht. "Wir sind die großen Gewinner Europas", sagt sie. Das war es dann aber auch von staatlicher Seite. Um alles andere sollen sich bitte Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände selber kümmern, denn das sei der "deutsche Weg", und der habe sich schließlich bewährt.
Wie dieser deutsche Erfolgsweg bei den Jobs aussehen kann, erläutert zwischendurch Michael Clauss, Betriebsrat im Daimler-Werk Stuttgart-Untertürkheim. Beim einem deutschen Qualitätsunternehmen wie Daimler werde doch "die Welt noch in Ordnung sein", frohlockt Illner scheinheilig. Es ist eine rhetorische Frage.
Löhne von 3,50 Euro am Ende der Outsourcing-Kette
Nur noch 25 Prozent der Beschäftigten seien zum 125. Jubiläum des Autobauers überhaupt noch bei Daimler angestellt, berichtet Clauss. Alle anderen seien schon profitabel ausgelagert in Leih- und Zeitarbeitsfirmen, die ihrerseits selbst wieder Subunternehmen beauftragten, wobei am Ende der Kette Löhne von 3,50 Euro stünden.
Hunderttausende Deutsche – nicht Polen – arbeiteten derzeit unter solchen Konditionen Vollzeit, und müssten doch vom Staat auf Sozialhilfeniveau alimentiert werden.
Fast entschuldigend wirft Unternehmer Thomas Selter ein, dass es doch selbstverständlich sei, dass ein Unternehmer seine Personalkosten auf jedem denkbaren Weg senke, "wenn das legal möglich ist". Frei nach dem verantwortungsvollen Motto: Ich kann nichts dafür, dass ich dich ausbeute, der Staat hat es mir erlaubt.
Und so geht es auch in der ganzen Diskussionsrunde eigentlich nicht um Polen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Es geht um deutsche Löhne. Es geht um Hungerlöhne, die es einem kaum noch ermöglichen, eine Familie zu gründen, geschweige denn sich eine kleinbürgerliche Existenz aufzubauen. Es geht um die Selbsteinschätzung eines Teils der Deutschen. Sie fühlen sich selbst schon so, wie sie die Polen einst gesehen haben: billig.
Und als Gysi darauf hin weist, dass es den Gewerkschaften in Deutschland in den über zwanzig Jahren seit der Vereinigung nicht einmal gelungen sei, gleiche Löhne in Ost und West durchzusetzen, ist die Sendung endlich bei sich selbst: Der Pole sitzt schon im eigenen Land. Und was macht der Staat gegen diese Ungleichheit?
"Soziale Leitplanken" wolle die Politik zum freien Kräftespiel zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden noch liefern, sagt Ursula von der Leyen kühl. Im Notfall "setzen wir uns zusammen und machen eine Kommission". Ein staatlich garantierter EU-Mindestlohn wird dabei von alleine sicher nicht um die Ecke kommen.
"Ein Wort heute Abend, Frau von der Leyen, und ich würde sie wirklich feiern", entfährt es Gewerkschafter Möllenberg wie einem aufgeregten Schuljungen. Gründlicher hätte er die Ministerin kaum missverstehen können.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: wolin-w (06.05.2011) W
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