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Plagiatsjäger von GuttenPlag: Sie brachten Guttenberg und Koch-Mehrin zu Fall
Man erwartet nicht, dass diese beiden unauffälligen Männer in den vergangenen Monaten reihenweise Spitzenpolitiker zu Fall gebracht haben. Sie hocken vor der Wilhelm-von-Humboldt-Statue. Die Massen strömen an ihnen vorbei. Im Trubel des Boulevards Unter den Linden gehen sie nahezu unter.
Die beiden haben in diesem Frühling unzählige Tage vor dem Computer verbracht. Jetzt, nachdem wieder etwas Ruhe in ihren Leben eingekehrt ist, saugen sie die Junisonne am Treffpunkt für dieses Gespräch auf. Vor ein paar Wochen haben wir mit ihnen Kontakt aufgenommen. Nachts, im Chat. Der Mann im Anzug mit dem sauberen Scheitel und der etwas jüngere mit den langen Haaren werden gleich in ihrem erst zweiten Treffen mit Journalisten erzählen, wer hinter den Internet-Plattformen GuttenPlag Wiki und VroniPlag Wiki steckt.
Marcusb scannte die Doktorarbeit von Koch-Merin ein
Wer ist so verrückt, Satz für Satz von Doktorarbeiten durchzugehen und sie auf Plagiate zu prüfen? Ohne dafür Geld zu bekommen. In der Freizeit. Was bedeutet: meist in den Nächten. Über wen ist der beliebteste Politiker Deutschlands, Karl-Theodor zu Guttenberg, am Ende gestürzt? Und wer hatte schon Wochen vor der Universität Heidelberg herausbekommen, dass große Teile der Doktorarbeit von Silvana Koch-Mehrin Plagiate sind?
KayH und marcusb, die beiden in der Sonne vor der Humboldt-Universität, wissen fast alles darüber. Sie waren nahezu vom Start GuttenPlags an dabei, lösten sich eine Zeitlang ab als aktivste Nutzer der Plattform. Sie fanden heraus, dass Guttenberg in großem Umfang selbst von seinem Doktorvater geklaut hat. Marcusb war es, der in die Bibliothek ging, die Doktorarbeit von Koch-Mehrin einscannte und für die Helfer verfügbar machte.
Die Geschichte der Plagiatsjäger gleicht einem Internet-Märchen, wie es vor nur wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Eine Gruppe von netzaffinen und unbekannten Menschen findet zusammen, holt aus den technischen Möglichkeiten das heraus, was sie zur Vernetzung braucht, und entfaltet eine solche Wucht, dass Dokumente in einer nie zuvor dagewesenen Geschwindigkeit und Genauigkeit überprüft werden.
Was auf den beiden Internetplattformen passiert, kann als der nächste Entwicklungsschritt nach Wikileaks angesehen werden. Denn die mittlerweile weltberühmte Enthüllungsplattform stellt Dokumente, wenn auch hochbrisante, einfach nur online. Bei GuttenPlag und VroniPlag geht es ab diesem Moment aber erst richtig los. Dann beginnt das eigentlich Innovative: Jeder, der einen Internetanschluss besitzt, kann im Wiki mitmachen, ein paar Sätze einer Arbeit prüfen, ein Teil des Ganzen sein.
Diese verblüffend einleuchtende Arbeitsteilung nennt sich Crowd-Sourcing. Ein Schwarm von Menschen macht sich zusammen auf die Suche. Jeder allein hätte in Guttenbergs Dissertation mit der Note „Summa cum laude“ wohl nur ein paar geklaute Textstellen gefunden. Zusammen hat ein Schwarm aber erstmals einen Minister gestürzt.
"Wir haben die Arbeit auseinandergenommen"
KayH und marcusb nehmen Platz im Restaurant in der Humboldt-Uni. „Cum Laude“ heißt es. Die beiden könnten sich gratulieren zu dem, was sie mit den anderen geschafft haben. Doch der 35-jährige marcusb und der 42-jährige KayH sitzen sich erst das zweite Mal überhaupt gegenüber. Es ist dennoch wie bei alten Kumpels. Sie fangen an zu schwelgen. Von der Zeit, als sie Guttenberg auf die Schliche kamen:
KayH: In der Hochphase haben wir ja rund um die Uhr gearbeitet. Zwei Nächte habe ich gar nicht geschlafen.
marcusb: 18 Stunden am Tag saßen wir daran.
KayH: Das war grausam.
marcusb: Aber faszinierend.
KayH: Und es hat sich gelohnt.
marcusb: Wir haben die Arbeit auseinandergenommen.
Ohne GuttenPlag hätten sich KayH und marcusb wohl nie kennengelernt. Sie, die beide mit ihren Freundinnen in gar nicht so weit voneinander entfernten Städten leben, wirken sehr verschieden. Auf der einen Seite der fein angezogene und redegewandte Sprachwissenschaftler KayH. Immer wenn ihm etwas wichtig ist, werden seine Sätze von Fingerschlägen auf den Tisch untermalt.
Auf der anderen Seite der zurückhaltende und sehr systematische marcusb, der seine Gedanken in aufgeräumten Sätzen mit „erstens“ und „zweitens“ einleitet. KayH raucht gern. Marcusb trinkt viel Cola. KayH nennt sich liberal, hat eine Affinität zur FDP. Marcusb sieht sich eher links. Dennoch bezeichnen sie sich als „Freunde“.
Beide sagen von sich, sie arbeiten sehr gründlich. Konzentrieren sich lieber auf die saubere Dokumentation der plagiierten Textstellen und halten wenig von den gruppeninternen Diskussionen darüber, ob es Ghostwriter gibt oder ob VroniPlag nicht nur Ergebnisse präsentieren sollte, sondern etwa auch den Entzug von Doktortiteln fordern sollte.
Außerdem arbeiten beide gerne in der Nacht. KayH meist bis drei, vier Uhr. Marcusb hat in der Nacht gerade einen Rekord der vergangenen Monaten aufgestellt. „1.20 Uhr –so früh lag ich schon lange nicht mehr im Bett“, sagt der 35-Jährige und fügt an: „Nachts steht die Welt still und ich habe Ruhe.“ KayH sagt: „Keine E-Mails. Das Telefon schweigt.“ So treffen sich die beiden Nachtschwärmer oft im Chat. Um acht stehen sie dagegen selten auf.
Kritik von wissenschaftlicher Seite
Natürlich heißen KayH und marcusb nicht so, wie sie sich hier und auch im Chat nennen. Fast niemand von GuttenPlag oder VroniPlag tritt mit echtem Namen in der Öffentlichkeit auf. Dies ist wohl auch der Hauptkritikpunkt gegen die Plattformen: Sie stellten Promovierte öffentlich an den Pranger und kämpften noch nicht einmal mit offenem Visier.
Dafür ernten sie auch von wissenschaftlicher Seite Kritik. Wolfgang Stock, Leiter der Arbeitsstelle „Wiki-Watch“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, etwa sagt: „Wer ist das, der ohne seine Methoden offenzulegen, solche Urteile fällt?“ Man könne nicht nachvollziehen, welche Qualifikation die Mitglieder haben, um etwa Zitationen zu bewerten. Außerdem sei nicht transparent offengelegt, wie die Gruppe methodisch arbeite. Für Stock ist klar: „Nur so könnte auch die Arbeitsweise von VroniPlag mit akademischer Offenheit kritisch überprüft werden."
KayH und marcusb werden auf diese Vorwürfe eingehen. „Diese Forderung nach echten Namen verfolgt nur ein Ziel“, sagt KayH. „Das ist der Wunsch, eine Debatte zu personalisieren, die nicht personalisiert geführt werden kann: Es geht uns aber vor allem um das Beschreiben von möglichst objektiv belegbaren Tatsachen. Ich mochte ja Guttenberg, hielt ihn für hochbegabt. Das war eine große Enttäuschung für mich.“
Zudem, räumt KayH ein, sei es gar nicht schwer, ihre richtigen Namen herauszufinden. Ein bisschen Googlen hilft bereits. MarcusB hat sogar schon Kommentare in Blogs unter richtigem Namen verfasst. „Und wer mit uns im Chat Kontakt aufnimmt, bekommt schnell eine Antwort – und das oft unter unseren richtigen Namen“, sagt marcusb.
Sie wollen keinen Pranger
Rückblick: Am 16. Februar erscheint der erste Zeitungsartikel mit Textstellen, die Guttenberg übernommen haben soll. Noch an diesem Tag legt ein gewisser PlagDoc ein Google-Doc an, auf dem jeder Plagiate dokumentieren kann. Weil die Zahl der Zugriffe so hoch ist, bricht die Seite noch in der Nacht zusammen. Am kommenden Tag gründet PlagDoc deshalb das GuttenPlag Wiki. Bis zu zwei Millionen Mal wird die Seite am Tag aufgerufen. Blitzartig steigt die Zahl der gefundenen Plagiate in der Arbeit des Ministers.
Nach Guttenbergs Überführung war bald Schluss mit der Fahndung im GuttenPlag Wiki. Das Ziel, die saubere Dokumentation der vielen übernommenen Textstellen, war erreicht. Dann erreichte die Gruppe ein Tipp mit konkreten Hinweisen: Man solle sich doch mal die Doktorarbeit von Edmund Stoibers Tochter Veronica Saß anschauen. Ein ausreichender Verdacht war da. Für die weitere Suche gründete einer der sehr Aktiven, nämlich Goalgetter, das Wiki VroniPlag. Auch die Saß-Arbeit war ein Treffer und voller Plagiate. Nach und nach kamen immer mehr vom harten Kern auf die neue Plattform.
Sie prüften die Arbeiten des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Matthias Pröfrock (CDU), der zwei FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Merin und Jorgo Chatzimarkakis, des Bundestagsabgeordneten Bijan Djir-Sarai (CDU) und zuletzt auch aus dem anderen Parteienlager: die Arbeit des einstmals aufstrebenden SPD-Funktionärs Uwe Brinkmann und heutigen Dozenten an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.
Bei allen dieser Arbeiten stellten die Plagiatssammler auf über zehn Prozent der Seiten Plagiate fest. Das ist der Richtwert für die interne Vorprüfung, die der Kreis der emsigsten Leute von Vroni-Plag vornimmt. Erst wenn diese Marke überschritten ist, wird der Autor der Dissertation im Wiki genannt und die Arbeit landet auf der Startseite. Diese Vorsicht soll Rufmorde verhindern. Weil Google VroniPlag hoch bewertet, taucht die Plagiatsplattform bei einer Namenssuche schnell unter den ersten Treffern auf.
Sie wollen keinen Pranger. Nur analysieren. Dann sollen die Unis handeln.
Ein Art Plagiatsgedenkbibliothek
Vor ein paar Tagen hat VroniPlag den nächsten Promovierten erwischt: die Politikwissenschaftlerin Margarita Mathiopoulos, heute FDP-Mitglied und in den 80ern von Willy Brandt erfolglos als SPD-Vorstandssprecherin vorgeschlagen.
Ein besonderer Fall: Obwohl die Uni Bonn bereits vor 20 Jahren Plagiate in der Arbeit nachgewiesen hatte, durfte Mathiopoulos ihren Titel behalten. Nun nehmen die Plagiatsfahnder die Arbeit noch einmal auseinander und haben bereits auf einem Drittel der Seiten Plagiate gefunden.
KayH und marcusb hatten mit VroniPlag zunächst nichts zu tun. Für KayH war Saß keine Person des öffentlichen Interesses. „Das war langweilig“, sagt er. Marcusb hatte von dem Fall erst gar nichts mitbekommen. Er war noch mit dem Sortieren von GuttenPlag beschäftigt. „Dann hörte ich aber von Koch-Mehrin“, erinnert sich marcusb. „Sie hatte das Pech, dass ihre Arbeit in meiner Universitätsbibliothek stand. Ich bin hin, habe sie eingescannt und war wieder voll dabei.“ KayH kam hinzu, weil er das Thema der Europapolitikerin, die Lateinische Münzunion, spannend fand. „Ich habe in der Zeit hochinteressante Bücher gelesen“, sagt KayH.
Mittlerweile hat KayH so etwas wie eine Plagiatsgedenkbibliothek eingerichtet. In seinem Wohnzimmer ist ein Regal neu aufgebaut. „Ich habe darin alles stehen, woraus Guttenberg geklaut hat“, sagt KayH. 40 gedruckte Werke sind das. Auch Koch-Mehrins Vorbilder hat er alle in dem Regal gesammelt. „Ich finde es aber auch sehr angenehm, die verdächtigen Stellen in richtigen Büchern zu vergleichen. Ich mag das Haptische.“
Aufrichtig sein zu sich selbst
Es gibt einen groben, aber einfachen Weg, um dem Anfangsverdacht auf ein Plagiat nachzugehen. Wer ein paar verdächtige Wörter - vor allem lange und komplizierte - gefunden hat, kann sie bei Google eingeben und schauen, ob Quellen aufpoppen. Damit grast man jedoch nur die im Internet verfügbaren Texte ab. Alle anderen müssen meist aus Bibliotheken ausgeliehen und durch Texterkennungssoftware auf den Computer gespielt werden. Dann kann der direkte und mühsame Vergleich starten.
„Wir haben mit den Wikis eine Philologieplattform im Netz aufgebaut“, ist KayH irgendwie stolz. Er ist Sprachwissenschaftler, wollte auch einmal promovieren. Eineinhalb Jahre hat er an seiner Arbeit geschrieben, in der Uni gearbeitet und nebenbei eine eigene Firma aufgebaut. „Ich habe dann gesehen, das passt zeitlich und von der Belastung her nicht zusammen“, bilanziert KayH.
Auch marcusb faszinieren Bücher schon immer. Er hat auch mal ein Praktikum in einer Bibliothek gemacht. Doch seitdem er sieben war und einen C64 hatte, programmiert er sehr gern. Studiert hat er Mathematik. Heute ist er Programmierer in einem kleinen Betrieb und stellt kryptografische Software her. Damit werden Buchstaben einer Nachricht vertauscht, um sie unlesbar zu machen. Der Empfänger kann sie dann mit einem Schlüssel wieder lesbar machen. „Ein Fehler beim Schreiben des Programms zerstört das ganze System“, sagt marcusb. „Man muss sehr genau arbeiten. Perfekt.“
Aufrichtig sein zu sich selbst. Das sehen beide nicht nur als Grundlage für ihr eigenes Leben an. Das dachten sie, wäre auch die verbreitete Haltung in der Wissenschaft. Nur so könne sie erfolgreich hochkonzentrierte Problemlösungen hervorbringen. Dann aber kam Guttenbergs Arbeit voller Übernahmen um die Ecke und der CSU-Mann wollte die Vorwürfe gegen ihn mit dem Wort „abstrus“ abschmettern. Obwohl GuttenPlag schon diverse Plagiate ausgemacht hatte. Und Kanzlerin Angela Merkel stärkte ihm den Rücken, indem sie sagte, sie habe keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter, sondern einen Minister eingestellt. Am 15. Februar in einer Reaktion auf erste Vorwürfe:
„Ich habe die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt." Am 16. Februar in einer Mitteilung:
„Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus. Ich bin gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen." Am 18. Februar in einem Statement im Verteidigungsministerium:
„Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat, und den Vorwurf weise ich mit allem Nachdruck von mir. Sie ist über etwa sieben Jahre neben meiner Berufsabgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevollster Kleinarbeit entstanden und sie enthält fraglos Fehler. (...) Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht." Am 22. Februar in Kelkheim auf einer CDU-Veranstaltung:
"Und nach dieser Beschäftigung habe ich auch festgestellt, wie richtig es war, dass ich am Freitag gesagt habe, dass ich den Doktortitel nicht führen werde. Ich sage das ganz bewusst, weil ich am Wochenende, auch nachdem ich diese Arbeit mir intensiv noch einmal angesehen habe, feststellen musste, dass ich gravierende Fehler gemacht habe. Gravierende Fehler, die den wissenschaftlichen Kodex, den man so ansetzt, nicht erfüllen. (...) Die Entscheidung, einen Doktortitel nicht zu führen, schmerzt, insbesondere, wenn man sechs, sieben Jahre seines Lebens daran gearbeitet hat." In einem Schreiben an die Universität Bayreuth:
"Mit diesem Schreiben möchte ich Sie bitten, die Verleihung meines Doktortitels zurückzunehmen. (...) Eine abschließende Stellungnahme kann ich im Moment leider noch nicht abgeben. Aber festhalten will ich doch, dass ich zu keinem Zeitpunkt vorsätzlich oder absichtlich getäuscht habe. Dieser Schritt ist für mich besonders schmerzhaft, aber er ist eine Konsequenz aus meinen Fehlern. Er ist auch notwendig, um bereits eingetretenen Schaden für den hervorragenden Ruf der Universität Bayreuth, für meinen überaus honorigen Doktorvater und für meinen so geschätzten Zweitkorrektor zu begrenzen." Am 23. Februar in der Fragestunde des Bundestags:
"Ich war sicher so hochmütig zu glauben, dass mir die Quadratur des Kreises gelingt – und zwar, politische Leidenschaft und Arbeit sowie wissenschaftliche und intellektuelle Herausforderungen als junger Familienvater miteinander in Einklang zu bringen. Für mich stellte das offenbar eine Überlastung dar. (...) Und genau deswegen habe ich die Konsequenzen gezogen und verzichte auf diesen Doktortitel." Am 1. März im "Münchner Merkur":
"Ich trage politische Verantwortung nicht, um mich von einem Karriereschritt zum nächsten zu retten." Am 1. März in Berlin:
"Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Frau Bundeskanzlerin informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde und um meine Entlassung gebeten. Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens. Und ich gehe nicht alleine wegen meiner so fehlerhaften Doktorarbeit, wiewohl ich verstehe, dass dies für große Teile der Wissenschaft ein Anlass wäre. Der Grund liegt im besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann." Aus der Stellungnahme Guttenbergs für die Prüfkommission der Uni Bayreuth vom 26. April 2011:
"Ich wollte mir eine Schwäche nicht eingestehen." Quelle: dapd
Marcusb: „Das war ein Schlag ins Gesicht für alle, denen Wissenschaft irgendwas bedeutet.“
KayH: „Ich war mir sicher, dass das Thema heruntergespielt werden sollte. Ich wollte aber, dass nichts vertuscht wird.“
Also durchkämmten sie und viele andere Tag und Nacht Guttenbergs Arbeit. Irgendwann wurde der Druck auf Guttenberg immer größer. Er trat zurück. Doch die Uni Bayreuth hatte noch nicht entschieden, ob ihm der Doktortitel aberkannt werden sollte. Da wurden marcusb und KayH ein enges Team.
Sie wollten den Druck auf die Uni erhöhen. Marcusb ahnte, wie schwer es für die Uni werden würde, wenn Guttenberg selbst bei seinem Doktorvater abgeschrieben hätte. Deshalb suchten sie dort. Sie fanden 29 übernommene Abschnitte. Bald verlor Guttenberg auch seinen Dr.
"Von wegen Studenten, die nicht besseres zu tun haben"
Eine Online-Befragung der Uni Dortmund im Wiki ein paar Tage nach dem Start zeichnet ein Bild von der Gruppe damals: Ein harter Kern von 143 Usern übernahm mehrere Aufgaben im Wiki. Das Durchschnittsalter insgesamt betrug 38 Jahre, 60 Prozent haben einen Hochschulabschluss und etwa jeder fünfte einen Doktortitel. Heute gehören bei VroniPlag laut marcusb und KayH noch etwa 19 Leute zum harten Kern. Der jüngste von ihnen ist 28 Jahre alt. Fast alle haben einen festen Job. „Von wegen Studenten mit Anfang 20, die nichts besseres zu tun haben, als in fremden Arbeiten rumzustochern“, sagt KayH.
Doch beide nehmen langsam Abschied, schrauben die Zeit im Wiki zurück. KayH war gerade auf einer Konferenz und klinkte sich eine Woche aus. Das tat ihm gut. Er würde sich gern auf administrative Aufgaben konzentrieren. Marcusb programmierte in den letzten zwei Wochen eine Software, die nun fast alle Arbeitsschritte automatisiert. Digitalisierte Quellen werden mit der Arbeit zusammengeführt und heraus kommt ein Dokument, auf dem die Gemeinsamkeiten zwischen den Texten markiert sind. In Sekundenschnelle zeigt das Programm, ob ein Text ein Plagiat sein könnte.
Nun könnte VroniPlag die nächste Stufe zünden. „Viele von uns in der Gruppe wollen nicht jede Woche einen neuen Typen ans Kreuz nageln“, sagt KayH. Mit der neuen Software können systematisch sehr viele Arbeiten miteinander verglichen werden. „Ich habe gerade 35 Doktorarbeiten aus Münster heruntergeladen und schon einmal nach Auffälligkeiten geschaut“, sagt marcusb. „Es kann sein, dass da teilweise sogar untereinander abgeschrieben wurde.“
Jetzt verlassen die Plagiatsjäger die Sphäre der bekannten Promovierten. Bald könnte also jeder Doktor zittern, der unsauber gearbeitet hat.
Wert der Wissenschaft durch Plagiate gefährdet
Am Anfang dachten die Plagiatsjäger, einer wie Guttenberg wäre Täter und die Uni Opfer. Mittlerweile zweifeln sie an dieser Rollenverteilung, nach immer neuen Fällen von Plagiaten bei schlecht betreuten Promotionen, die oft nur dem Lebenslauf dienen sollen. Die Plagiatsjäger warten noch immer auf eine Reaktion aus Hochschulwelt. Wie soll künftig eine Qualitätssicherung aussehen? Reicht allein die Abschreckung, dass nun klar ist, dass Arbeiten an der Uni nicht in der Schublade verschwinden, sondern jederzeit überprüft werden können?
Die beiden bezweifeln, ob bereits ein Umdenken eingesetzt hat. Sie sehen die Unis zwar als „Speerspitze“ der gesellschaftlichen Entwicklung. „Aber wir hatten hier Promotionen, die kein Siebtklässler als Hausaufgabe in der Schule abgeben dürfte“, sagt marcusb. Sie sehen nicht die Wissenschaft durch Plagiate gefährdet, aber den Wert der Wissenschaft.
Die Plagiatsjäger scheinen gnadenlos. Fragt man die beiden deshalb, ob sie eigentlich selbst ohne Fehler seien, erntet man zunächst ein langes Zögern. Dann aber:
KayH: „Wir haben eine verdammt gute Qualitätssicherung. Und ich habe eine sehr gute Ausbildung mit Zitationstechniken. Außerdem bin wohl gesund-naiv: Ich denke etwa immer noch, dass Guttenberg gar nicht wusste, wie falsch er da eigentlich etwas macht.“
Marcusb: „Jeder Mensch ist fehlbar, ja. Aber wissenschaftliche Methode kann man sich leicht aneignen, um dann mit wenigen Fehlern durchzukommen. Das würde ja schon reichen.“
Die Plagiatsjäger haben sich übrigens abgesprochen. Von ihnen wird keiner zur Grimme-Preisverleihung gehen. Sie schicken einen Vertreter. Niemand wird den Ruhm ernten, falls sie gewinnen. Aber auch niemand muss Anfeindungen fürchten. Sie wollen einfach nur in Ruhe weiterarbeiten.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: wolin-w (19.06.2011)
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