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Meinung | Eliten-Projekt: Europas Integration hinter dem Rücken der Bürger
Erweiterung oder Vertiefung? Zahllose Leitartikel und Politikerreden sind dieser angeblichen Schicksalsfrage Europas gewidmet worden. Die Ereignisse dieses Jahres zeigen jedoch, dass die Vertiefung der Union nicht durch die Erweiterung gefährdet wird. Sie hat sich selbst ad absurdum geführt. Europa erleidet eine Kernspaltung. Die Eurozone ist Problemzone. Im „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ tritt das alte Europa auf der Stelle. Die Gefahr der Desintegration wurde schlagartig durch den Eurostreit und das Libyendebakel deutlich. Die griechische Schuldenkrise konnte nur deshalb zur Krise der Eurozone eskalieren, weil sich Deutschland und Frankreich, die Paten des Euro-Projekts, über die Strategie zum Schutz des Währungsraums zerstritten. Und auch beim Libyenkonflikt wurde ein deutsch-französischer Gegensatz offenbar. Zum ersten Mal seit 1945 hatten nicht die USA die Führung bei einer Militäraktion übernommen. Libyen hätte die Stunde Europas werden können. Dass Deutschland dann im Sicherheitsrat mit Russland und China gegen den Westen stimmte, hat darum in ganz Europa einen Schock ausgelöst, besonders aber in Paris, wo alte Befürchtungen neu belebt wurden.
Vage Wirtschaftsregierung
Schon 2009 argwöhnte man dort über einen strategischen Schwenk der Deutschen, als Siemens die atomare Kooperation mit der französischen Areva aufkündigte und sich der russischen Rosatom zuwandte. Angela Merkels „Energiewende“, die Deutschland noch stärker als bisher von russischem Erdgas abhängig macht, bestärkt diese Befürchtungen. Als Reaktion auf die neue deutsche Ostpolitik hatte Nicolas Sarkozy den Plan einer „Mittelmeerunion“ ohne Nord-, Ost- und Mitteleuropäer entworfen, den Angela Merkel sofort torpedierte. Nach Libyen beschlossen Frankreich und Großbritannien – ohne Deutschland – eine enge militärische Kooperation. Die von Sarkozy und Merkel verkündete „Wirtschaftsregierung“ der Eurozone hingegen bleibt – selbst wenn sie von den 15 anderen Euroländern akzeptiert wird – völlig vage. Überall in Kerneuropa haben europaskeptische Populisten Wählerstimmen gewonnen – außer in Deutschland, wo FDP und CSU diese Funktion übernehmen. Unter dem Druck der Populisten haben Dänemark und Italien entgegen dem Geist von Schengen wieder Grenzkontrollen eingeführt. In den Niederlanden kann die Minderheitsregierung nichts tun, ohne vorher Geert Wilders zu konsultieren, der die EU auf eine reine Wirtschaftszone zurückführen will, die EU mit der UdSSR vergleicht und „Islamisierung und Europäisierung“ als die „zwei größten Gefahren“ für die Nationalstaaten bezeichnet. In der Europäischen Kommission heißt es, die Union stecke in der größten Krise seit ihrer Gründung.
Abstimmungsmechanismen, die keiner versteht
Dass jede Krise auch eine Chance bietet, ist eine Binsenwahrheit. Die Kunst besteht darin, die Chance zu erkennen. Sie heißt: Aufrichtigkeit. Denn die Euro-Krise ist in Wahrheit die Krise der seit dem EU-Gründervater Jean Monnet verfolgten Strategie, die Integration Europas hinter dem Rücken der Bürger zu betreiben. Im Interview mit dieser Zeitung hat Edmund Stoiber die Gedanken des Monnet-Schülers Helmut Kohl wie folgt kritisiert: „Es kam die Motor-Theorie, will heißen: Wir beginnen mit dem Euro, und er wird die Europäische Union zusammenschweißen, er wird die politische Union erzwingen.“ Die kann aber nicht Ergebnis eines währungstechnischen Sachzwangs sein, sondern nur eines politischen Willens. Es gibt zwei Euro-Rettungsschirme – den modifizierten vorläufigen Mechanismus EFSF und seinen dauerhaften Nachfolger ESM, der Mitte 2013 in Kraft tritt. Beide Instrumente sollen angeschlagenen Euro-Staaten im Notfall besser helfen können, ohne dass neue, die Finanzmärkte irritierende Rettungsaktionen der 17 Euro-Staaten nötig sind. Ein Überblick über die wichtigsten Elemente beider Mechanismen... WAS IST DIE EFSF?
Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility, EFSF) wurde am 10. Mai 2010 als vorläufiger Euro-Rettungsschirm von einem EU-Gipfel ins Leben gerufen. Sie wird Mitte 2013 vom dauerhaften Rettungsschirms ESM abgelöst, der über dieselben Möglichkeiten verfügen soll. Die EFSF wird von dem deutschen Beamten Klaus Regling geführt. WANN WIRD GEHOLFEN?Voraussetzung für die Hilfe beider Einrichtungen ist, dass die Stabilität der Euro-Zone insgesamt gefährdet ist und sich ein Empfängerland einem harten wirtschaftlichen Reformprogramm unterzieht. Vorab muss zudem geklärt werden, ob ein Land, das Hilfskredite erhält, diese zurückzahlen kann. Für die Auszahlung von Krediten ist ein einstimmiger Beschluss der Geldgeber nötig. VOLUMEN DER EFSFDer jetzt gebilligte überarbeitete EFSF-Vertrag sieht vor, dass das Kredit-Volumen für angeschlagene Euro-Staaten auf effektiv 440 Milliarden Euro steigt. Damit die EFSF eine solche Summe an den Finanzmärkten zu niedrigen Zinssätzen aufnehmen und dann mit einem Aufschlag an Staaten weiterleiten kann, bürgen die Euro-Staaten gemäß ihres Anteils an der Europäischen Zentralbank nun mit bis zu 780 Milliarden Euro. Deutschland haftet für einen Anteil von 211 Milliarden Euro. Vorsorglich wurde die Absicherung so berechnet, dass auch ohne einen Beitrag Griechenlands, Irlands und Portugals die volle Kredit-Summe zusammen käme. Anders als bisher darf die EFSF künftig Kredite am Primärmarkt, also direkt von Staaten kaufen – genauso wie der ESM ab 2013. Mit diesem neuen Instrument können die Rettungsschirme eine Art Starthilfe leisten, wenn sie sich an einer neuen Anleihe-Ausgabe des Landes beteiligen, das an die Kapitalmärkte zurückkehrt. WELCHE NEUEN INSTRUMENTE BEKOMMT DIE EFSF? Die Euro-Staaten haben am 21. Juli die Garantie-Aufstockung und vier neue Instrumente für die EFSF beschlossen und dazu ihren EFSF-Rahmenvertrag angepasst. Die vier Instrumente sind: – Anleihenkäufe am Primärmarkt: Die EFSF kann künftig bei den Regierungen direkt neu ausgegebene Staatsanleihen kaufen. – Anleihen am Sekundärmarkt: Auch Anleihenkäufe an den Börsen sind möglich, aber nur im Ausnahmefall. – Vorsorgliche Kreditlinien: Euro-Länder können sich von der EFSF eine Kreditlinie zusichern lassen, die sie aber nicht nutzen müssen. Dies soll die Finanzmärkte beruhigen. – Die EFSF kann Ländern künftig besondere Kredite geben, damit sie ihre Banken rekapitalisieren können. DAS VOLUMEN DES ESM Ab Mitte 2013 soll der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM die EFSF ablösen. Er kann Kredite bis zu 500 Milliarden Euro vergeben. Für eine gute Bonität braucht er dennoch „nur" eine Absicherung von 700 Milliarden Euro, weil er anders als der EFSF einen Kapitalstock von 80 Milliarden Euro in bar hat. Der deutsche Anteil an der Gesamthaftung sinkt deshalb beim Übergang von der EFSF auf den ESM auf 190 Milliarden Euro. Dafür muss Deutschland von diesen Betrag knapp 22 Milliarden Euro in den Kapitalstock einzahlen. MITHAFTUNG PRIVATER GLÄUBIGER Der ESM-Vertrag schreibt fest, dass ab 2013 alle in der Euro-Zone ausgegebenen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr die Klausel enthalten, dass private Investoren an einer Krisenlösung beteiligt werden. In Artikel 12 werden zwei Szenarien festgelegt: Befindet sich ein Land nur in einer vorübergehenden Liquiditätskrise, sollen die privaten Gläubiger ermutigt werden, ihre Anleihen länger zu halten. Im Pleitefall muss der Mitgliedsstaat zwingend mit den Gläubigern verhandeln – der Privatsektor würde dann nötigenfalls etwa an einem Schuldenschnitt beteiligt. Beide Fälle beziehen sich aber nur auf die ab Mitte 2013 ausgegebenen neuen Staatsanleihen mit den sogenannten Umschuldungsklauseln CAC. Einzelheiten der CAC-Regeln sollen bis Jahresende geklärt werden. BEVORZUGTER GLÄUBIGERSTATUS Der ESM wird bei seinen ausgegebenen Krediten einen bevorzugten Gläubigerstatus ähnlich wie der IWF erhalten. Im Insolvenzfall müssen diese Kredite aus Steuerzahlergeld vorrangig vor denen der privaten Hand bedient werden. Eine Ausnahme gibt es nur, wenn Hilfsprogramme bereits vor dem ESM begonnen und dann übertragen werden – dann verzichtet der ESM auf einen bevorzugten Status, den es heute für den EFSF auch nicht gibt. Die Bundesregierung betont, dass diese Einschränkung nur für eine Übergangsphase etwa in Fällen wie Griechenland, Irland oder Portugal gelten kann. NACHSCHUSSPFLICHT UND WEITERENTWICKLUNG Mindestens alle fünf Jahre soll überprüft werden, ob der ESM-Rahmen verändert werden soll. Es kann eine Nachschusspflicht für Länder geben, wenn Kredite etwa nicht zurückgezahlt werden. In jedem Fall gilt etwa für Deutschland aber die Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro. Der aus den EU-Finanzministern bestehende Gouverneursrat kann zudem Finanzierungsinstrumente wie den Ankauf am Primärmarkt oder den auf 200 Basispunkte festgelegten Aufschlag für vergebene Kredite ändern sowie einen Reservefonds und weitere Fonds einrichten. EINSTIMMIGKEIT UND ZUSTIMMUNG Wichtige Beschlüsse kann der Gouverneursrat nur einstimmig fällen. Bei vielen technischen Fragen gilt eine qualifizierte Mehrheit von 80 Prozent. Weil Deutschland rund 27 Prozent der Anteile hält, hat es auch in diesen Fällen de facto ein Veto. Ungeklärt ist, wie die Nationalstaaten auf die Entscheidung ihrer Vertreter im Gouverneursrat Einfluss nehmen. Viele Bundestagsabgeordnete beanspruchen, dass die deutsche Position vor wichtigen Weichenstellungen durch eine Parlamentszustimmung festgelegt wird – anders als beim EFSF, bei dem die Regierung nur ein Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss herstellen muss. Die Regelung soll im Herbst im einem eigenen nationalen Beteiligungsgesetz geregelt werden. Quelle: Reuters, 31.8.2011
Zwar sollte die vom damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer angestoßene Diskussion über die institutionelle „Finalität“ der Union Europa zur Herzensangelegenheit der Bürger machen. Sie erreichte – wie die Ablehnung der EU-Verfassung in Volksabstimmungen ausgerechnet in den EU-Kernländern Frankreich und den Niederlanden zeigte – das Gegenteil. Und als Ergebnis der jahrelangen Prozedur besitzt Europa Abstimmungsmechanismen, die keiner versteht, zwei neue Ämter, die keiner braucht, die von Politikern bekleidet sind, die keiner kennt. Was für eine Zeitverschwendung!
Die Vertiefungs-Visionen sind vorbei
Als Elitenprojekt leidet die EU überdies unter dem dramatischen Vertrauensverlust, den die Eliten seit der Bankenkrise erlitten haben. Zwar genießen die europäischen Institutionen selbst dort, wo es starke euroskeptische Parteien gibt, immer noch mehr Vertrauen als die nationale Elite. Aber das will nicht viel heißen. In Brüssel glaubt man, Europa werde sich nur durch Leistung bei den Bürgern rehabilitieren; indem die EU zeigt, dass sie die Stabilität der gemeinsamen Währung schützen, den Globalisierungswettbewerb bestehen, den Wohlstand sichern, der illegalen Einwanderung Herr werden und die Zuwanderung so gestalten kann, dass weder die Liberalität noch die kulturelle Identität des Kontinents in Frage gestellt werden. Das wird nur gehen, wenn die Politiker in den einzelnen Mitgliedsländern Mehrheiten für Europa mobilisieren. Das geht nicht so, dass man, wie die die Kanzlerin, hinhaltenden Widerstand gegen Bail-Outs, eine Wirtschaftsregierung und eine Transferunion leistet, um dann all das zu akzeptieren. Die Zeit der Vertiefungs-Visionen ist jedenfalls fürs Erste vorbei, auch wenn eine profilierungsbedürftige deutsche Ministerin von den „Vereinigten Staaten von Europa“ schwafelt. Es bringt auch nichts, ständig das Kohl-Wort zu zitieren, beim Euro gehe es um Krieg oder Frieden, wenn damit nur dem Steuerzahler weiteres Geld zur Rettung bankrotter Staaten aus der Tasche gezogen werden soll. Was getan werden muss, um den Euro zu retten, und warum, kann der Bürger als Bürge auch ohne rhetorische Tricks begreifen. Wie ein hoher EU-Offizieller neulich sagte. „In China werden wir zwar nicht als Militärmacht, aber als Handels- und Währungsmacht wahrgenommen.“
Freilich wird hier ein Defizit deutlich, das auf Dauer schlimmer ist als ein Staatsdefizit. In einer Welt, in der Europas bisherige Schutzmacht schwächer wird, geht es dabei tatsächlich um Krieg und Frieden. Bei der Außen- und Sicherheits-, der Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik darf man von Europas Politikern mehr Mut zu Visionen, mehr Bereitschaft zur harten Arbeit der Konsenssuche und weniger Nationalegoismus erwarten. Wenn nicht in der Generation Merkel, Sarkozy und Co., dann hoffentlich in der nächsten.
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Kategorie: Meine Artikel | Hinzugefügt von: wolin-w (06.09.2011)
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